Berlin, Geramny
11. Juni 2013.
Stephanie Franck, Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) e.V., wünschte sich anlässlich des heutigen Pressegesprächs in Berlin eine bessere Wahrnehmung der Leistung der Pflanzenzüchter und ihrer Bedeutung für eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft. Wenn es der Branche nicht gelänge, auf politischer und gesellschaftlicher Ebene mehr Gehör zu finden, drohten den Unternehmen Reglementierungen, die die Zukunft der überwiegend mittelständischen Unternehmen in Deutschland gefährdeten. Als Beispiel nannte sie die Umsetzung des Nagoya-Protokolls, die zur Überbürokratisierung und Verarmung der Pflanzenvielfalt führen werde. Um die Ernährung weltweit zu sichern, müssten die Kernkompetenzen der Pflanzenzüchter wie Züchtungsforschung und Überführung der Innovationen in die Praxis gefördert werden. Saatgut sei der Schlüssel zur Ernährung der Welt, so ihr Fazit. Auf die Frage nach der Bedeutung der Refinanzierung der Züchtungsforschung beispielsweise durch Nachbaugebühren antwortete sie klar, dass die fehlenden Einnahmen für einen Staatshaushalt geringfügig, für die betroffenen ca. 60 mittelständischen Betriebe aber existenzbedrohend seien. Dagegen sei es für den einzelnen Landwirt im Einzelfall ein zu vernachlässigender Betrag, der bei entsprechend gerechter Regelung auch gerne gezahlt werde. Immerhin stammten die meisten Pflanzenzüchterbetriebe aus der Landwirtschaft und es gebe mehr verbindende Elemente als trennende. Dennoch haben in den letzten Jahren eine Reihe von Züchterbetrieben aufgeben müssen, nicht zuletzt weil die Refinanzierung nicht gesichert war. Die Folgen eines Konzentrationsprozesses wären dramatisch – heute für die Züchter, morgen für die Landwirte und übermorgen für die Gesellschaft.
BU (v.l. Dr. Steffen Noleppa, Prof. Joachim von Braun, Stephanie Franck, Prof. Harald von Witzke, Ulrike Amoruso-Eickhorn)
Prof. Joachim von Braun, Leiter des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF), konstatierte, dass der Anteil der hungernden Menschen seit 1990 zwar zurückgegangen sei, aber immer noch 165 Mio. Kinder fehl- oder unterernährt seien. Die Lösung des Hungerproblems sehe er u. a. in der Produktivitätssteigerung durch Innovationen. Es sei realistisch, bis 2030/2040 den Hunger zu beseitigen, aber die Anstrengungen hinsichtlich der Kriterien Produktivitätssteigerung und Inhaltsstoffe müssen deutlich verstärkt werden. Von Braun betonte die wachsende Rolle der Pflanzenzüchtung in der Bioökonomie. Dazu gehöre auch die Unterstützung der Züchtungsforschung durch staatliche Förderung von Aktivitäten, die der private Sektor nicht leisten kann - wie z. B. die Phänotypisierung, d.h. detaillierte Erfassung von Pflanzeneigenschaften. Die Pflanzenzüchtung habe in der Vergangenheit einen bisher unterschätzten Anteil an der Innovationsleistung erbracht. Deutschland sei in der Agrarforschung, die sowohl öffentlich als privat finanziert wird, stark und auf Platz sechs der Weltrangliste.
Die Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Gesellschaft war die Fragestellung von Prof. Harald von Witzke, Humboldt Forum for Food and Agriculture (HFFA) e.V. in der vom HFFA veröffentlichten Studie. In den letzten Jahren habe sich der über viele Jahre anhaltende Trend sinkender Agrarpreise gedreht – die Nachfrage steige und werde sich bis 2050 verdoppeln, damit die Preise und damit die geringere Verfügbarkeit für die am meisten vom Hunger bedrohten Bevölkerungsschichten. Die Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Gesellschaft in Zahlen zu fassen, sei das Hauptanliegen der vorgestellten Studie. Das Ergebnis sei erstaunlich, wenn auch nicht unerwartet: Mehr als 90% der in den letzten 20 Jahren erreichten Produktivitätszuwächse der Pflanzenproduktion in Deutschland stammten aus dem Züchtungsfortschritt – der Innovation. Damit zeige sich die Rentabilität der Forschungsförderung für die Gesellschaft, was aber bei den Entscheidungsträgern in der Politik und Verwaltung noch nicht die notwendige Aufmerksamkeit erfahre. Mehr Innovation brauche mehr Forschungsförderung und sichere Rahmenbedingungen.
„Was wäre, wenn es die letzten beiden Jahrzehnte Pflanzenzüchtung in Deutschland nicht gegeben hätte?“ fragte sich Dr. Steffen Noleppa, agripol – network for policy advice GbR. Ein Blick in die Welt von heute ohne den geleisteten züchterischen Fortschritt in Deutschland zeige die Auswirkungen alleine durch die Ertragsfortschritte in Deutschland auf das Klima und die Welternährung. Über alle Kulturarten hinweg zeigen die Berechnungen, dass ca. eine Million Hektar Fläche zusätzlich hätten bewirtschaftet werden müssen, um die gleichen Erträge zu erzielen. Dies entspräche etwa der Ackerfläche von Nordrhein-Westfalen oder Mecklenburg-Vorpommerns. Eine andere Relation sei der Vergleich der Erträge – jedes Jahr wäre auf ein Prozent Mehrertrag verzichtet worden.
Über das HFFA
Das Humboldt Forum for Food and Agriculture e. V. (HFFA) ist ein unabhängiger interna-tionaler Think Tank. Ziel des HFFA ist die Entwicklung von Strategien für eine nachhaltige globale Landwirtschaft, die die Versorgung mit sicheren und hochwertigen Nahrungsmit-tel für die rasant wachsende Weltbevölkerung sichert. Das HFFA bringt internationale Experten aus aller Welt zusammen, um den Dialog zwischen allen interessierten Seiten zu befördern. Es stellt sich an die Spitze einer globalen Diskussion zu zentralen Fragen der Weltlandwirtschaft, indem es neues Wissen und Strategien zur nachhaltigen globalen Ernährungssicherung bereitstellt. Das HFFA veröffentlicht Studien für die Öffentlichkeit, Medien, Politik, Verwaltung und Regierungen, stellt sich der öffentlichen Diskussion und sucht den Dialog mit allen interessierten Parteien zu den Fragen von Welternährung und Landwirtschaft.
Über die Studie
Die Studie „Die gesellschaftliche Bedeutung der Pflanzenzüchtung in Deutschland“ bewertet erstmals den Nutzen von Produktivitätssteigerungen durch Züchtungserfolge für die Gesellschaft – sowohl nach ökologischen als auch nach ökonomischen Kriterien. Im Fokus der Untersuchung steht der Einfluss der Pflanzenzüchtung auf soziale Wohlfahrt, Ernährungssicherung sowie Klima- und Ressourcenschutz. Die Ergebnisse zeigen: Von einem Fortschritt in der Pflanzenzüchtung profitieren Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt in einem bisher unterschätzten Umfang.
Über den BDP
Der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter e. V. (BDP) mit Sitz in Bonn und Berlin ist die berufsständische Vertretung der rund 130 deutschen Pflanzenzuchtunternehmen und Saatenhändler aus den Bereichen Landwirtschaft, Gemüse und Zierpflanzen. Mit einer F&E-Quote (Forschung & Entwicklung) von 16,1 Prozent gehört die Pflanzenzüchtung zu den innovativsten Branchen in Deutschland. Rund 12 000 Beschäftigte finden in ihr einen Arbeitsplatz und legen mit ihrer Tätigkeit die Basis für eine erfolgreiche Landwirtschaft und die darauf folgenden Stufen der Wertschöpfungskette.